KulturPur 2003

Internationales Musik- und Theaterfestival
auf dem Giller bei Hilchenbach-Lützel
Berichterstattung Siegener Zeitung
www.siegener-zeitung.de

07.06.2003

Gospelfeuer brannte auf Sparflamme
Der Funke wollte beim Eröffnungs-TopAct von KulturPur nicht so recht überspringen
(aww) Grund. Schade. Wirklich jammerschade . . . Dass die Damen und Herren um Helmut Jost allesamt ihr Handwerk beherrschen, das weiß die Siegerländer Gospelgemeinde. Daran besteht auch kein Zweifel. Dass eine solche Gospelfire-Besetzung wie am Donnerstag beim Eröffnungsabend von KulturPur normalerweise dazu angetan sein sollte, das ausverkaufte Zelttheater dermaßen zum Kochen zu bringen, dass der Schweiß an den Wänden runterläuft, klingt auch logisch. Dass die Gospelfire International Allstars als erster TopAct des diesjährigen Festivals auf dem Giller aber tatsächlich die Stimmung unter den 1500 Besuchern allenfalls zum Köcheln bringen konnten, damit hatte im Vorfeld wohl niemand gerechnet.
  Dass der Gospelfunke – vor allem in der ersten Konzerthälfte – kaum von der Bühne herunter ins Publikum springen wollte, war überdeutlich spürbar. Das musste der im Siegerland bestens bekannte Solist David Thomas – wie vermutlich sämtliche seiner Mitstreiter auf der Bühne – wohl auch gemerkt haben. „Die Erwartungen sind groß“, verabschiedete er das Publikum in die Pause. In der Tat: Die Ansprüche an einen TopAct bei Europas größtem Zeltkulturfestival, noch dazu am Eröffnungsabend, sind extrem hoch – entsprechend verhält es sich mit den Erwartungen des Publikums.
  Wenn es den Akteuren doch nachweislich nicht an Könnerschaft mangelt, wo lag dann das Problem? Vermutlich an einer Vielzahl von Kleinigkeiten, die, alle zusammen genommen, das Gesamtbild nicht unbeträchtlich trübten. Der undifferenzierte Sound etwa mit zu lauter Instrumentalfraktion und entsprechend schlecht zu verstehendem Gesang. Die hohe Lautstärke, die zumindest in den vorderen Reihen und vor allem im hohen Frequenzbereich mächtig Druck auf den Ohren machte. Die zuweilen offensichtliche Textunsicherheit der Vokalisten – verbunden mit deutlichem Hang zum Notenständer – und verschiedentliche Abstimmungsprobleme unter den Mitwirkenden (z. B. im Hinblick auf Songabläufe), die das Ganze nicht immer hundertprozentig souverän wirken ließen. Vielleicht auch die sichtliche – und sehr verständliche – Anspannung der Ausführenden, die die Gesamtdarbietung nicht der Musik angemessen locker wirken ließ.
  Am Songmaterial kann es kaum gelegen haben, denn das ist in der Region nun wirklich bestens bekannt, seien es die Eigenkompositionen Josts oder auch bekannte traditionelle Gospels. Musikalisch freilich gab es eigentlich auch nichts auszusetzen. So präsentierte sich die Band unter der Leitung von Helmut Jost (Piano, Vocals) als tight und souverän aufspielende Einheit: Neben Armin Müller (Organ) und Frieder Jost (Guitar) war mit Matthias Gräb (Bass) und Ralf Gustke (Drums) eine sehr beeindruckende Rhythmusfraktion am Start. Die Gesangsriege – David, Tyndale und Kadria Thomas, Ruthild und Beverly Wilson, Genevieve Brown, Sabine Jost – hatte es natürlich auch drauf und wusste als Chor, aber auch mit zum Teil verblüffenden Solospots zu gefallen.
  Auch wenn Abgeh-Nummern wie das treibende „Move, Spirit, Move“ eigentlich alles an Tanz- und Feierpotenzial hatten, was sich der Musikfan wünschen kann, bedurfte es doch immer wieder der Animation durch die Akteure, um das Publikum zum Mitklatschen, -machen und -singen zu animieren. Erst in der zweiten Hälfte verselbstständigte sich die Stimmung beim Publikum, so dass zum Schluss mit dem flotten „Blessed Be His Name“, dem stampfenden „This Train“ und dem ausgedehnten Kracher „Oh Happy Day“ doch noch Feierstimmung aufkam. Zwischendurch sorgten immer mal wieder balladeske Klänge wie bei „Marvellous“, „Deep River Of Love“ oder „Light A Candle“ für schöne musikalische Kontraste — in diesen Momenten kamen die Stimmen herausragender Solisten wie Tyndale und David Thomas ganz besonders gut zur Geltung.
Mit dem schönen, ruhigen Chorsatz „May The Lord Send Angels“ endete das offizielle Programm nach über zweieinhalb Stunden. Zugabe? Selbstverständlich, denn zu diesem Zeitpunkt waren die Zuhörer/innen dann doch mächtig aufgewärmt vom Gospelfeuer: Und mit „Amen“ lässt sich schließlich auch richtig gut losfetzen. Die Stimmung vom Ende schon am Anfang – und alles wäre perfekt gewesen. Schade. Wirklich jammerschade . . .
 

07.06.2003

Als wäre es erst gestern gewesen . . .
2400 Rock-Nostalgiker feierten Manfred Mann’s Earth Band mit ohrenbetäubendem Applaus
(aww) Grund. Der Jubel, das Pfeifen, die Applausstürme, die unnachgiebig Zugabe fordern, sind ohrenbetäubend. Viel lauter noch, als die anderthalb Stunden exquisiter Rockmusik, die zuvor das große Zelttheater in eine Zeitmaschine verwandelt hatte, mit der 2400 Fans eine faszinierende musikalische Reise zurück in die 70er und 80er Jahre angetreten hatten. An der Spitze kompetente Reiseführer: Manfred Mann und seine Earth Band.
  „Spirits In The Night“, „Blinded By The Light“, „Redemption Song“, „Demolition Man“ – wer in seligen Teenie-Jahren die 84er-Live-Scheibe „Budapest“ auf dem Plattenspieler hatte hoch und runter dudeln lassen, der durfte am Freitag auf dem Giller noch einmal so richtig ins Schwärmen geraten. Die meisten erwartbaren Klassiker hatte der KulturPur-TopAct am Start (schmerzlich vermisst aber: „For You“ und „Questions“), und die Earth Band spielte mit einem Elan wie anno dunnemals. Als wäre es gestern gewesen – und nicht schon knapp 20 Jahre her . . .
 Doch wir schreiben das Jahr 2003. Und da fragt man/frau sich wohl mit einigem Recht: Manfred Mann’s Earth Band, ist das nicht etwas für ein paar hoffnungslose Nostalgiker, die in Gedanken noch immer der „guten, alten Zeit“ nachhängen – der „guten, alten Zeit“ des Rock (die ja schon zu den Hochzeiten der Earth Band gar nicht mehr so „gut und alt“ war)? Mag sein, doch wenn dem so ist, dann jedenfalls gibt es im Siegerland die hoffnungslosen Nostalgiker im Dutzend billiger – denn das Konzert der Earth Band bei Europas größtem Zeltkulturfestival war bereits lange im Vorfeld bis auf die allerletzte Karte ausverkauft.
 Damit erst gar keine Missverständnisse aufkommen: Auch wenn die Earth Band schon über 30 Jahre alt ist und Front-Mann Manfred schon seit nunmehr vier Jahrzehnten im Rockbusiness mitmischt – von einer der zahllosen, peinlichen Oldieshows ist der Keyboard-Wizard weit entfernt. Selbst im fortgeschrittenen Alter liefert Mann eine hochkarätige Show, die im großen Rockzirkus durchaus bestehen kann, auch wenn der in die Jahre gekommene Tasten-Mann des Öfteren den Schlapphut lüften und die Glatze mit einem Handtuch vom Schweiß befreien muss. Und auch, wenn sein „Gekläffe“ eher klingt wie das eines erkälteten Schoßhündchens. Aber er muss ja (glücklicherweise, wie sich an einem einzelnen Fallbeispiel schnell hören ließ) nicht singen: Und die Finger, die sind zweifelsohne noch immer in Topform und eines Mini Moogs mehr als würdig.
Der Bandleader baut im neuen Jahrtausend auf eine größtenteils altbewährte Mannschaft, darunter Gitarrero/Sänger/Gründungsmitglied Mick Rogers. Ebenso schon einige Jährchen haben Bassist Steve Kinch und der charismatische Lead-Vokalist Noel McCalla bei der Earth Band auf dem Buckel. Lediglich Drummer Geoff Dunn ist noch relativ neu in Manfred Manns „Musiker-Stall“. Erfahrung macht sich bezahlt, könnte man meinen, denn das, was das Quintett im Gillerzelt abliefert, ist von höchster Präzision und Souveränität.
Der Stimmungslevel bricht in den zwei Stunden nicht ein einziges Mal ein, ist allerdings bei den alten Klassikern auf einer nach oben offenen Skala steigerungsfähig: Bei „Don’t Kill It Carol“ klatscht die Rockgemeinde kräftig mit, bei „Blinded By The Light“ sind fast alle Arme oben, beim ausufernden „Father Of Day, Father Of Night“ mit grandiosem Gitarrensolo, toller dynamischer Steigerung und rasantem Gitarren-/Keyboard-Duell steht das Zelt Kopf.
Seltsam, diese herrlich-verstörende und doch ergreifende Mann’sche Melange aus Emotionalität und Feeling auf der einen und schon fast unterkühlter Sterilität auf der anderen Seite. Aber die Mischung greift, Manns technokratische Keyboard-Spielweise mit den abgefahrensten
Sounds hier, Rogers einfühlsam-dynamisches Gitarrenspiel dort – nichts verfehlt seine Wirkung. Schon gar nicht die Zugaben: Bei „Davy’s On The Road Again“ und dem zum guten Schluss richtig abgefeierten „The Mighty Quinn“ singt alles lauthals mit, was Stimmbänder hat. MIGHTY!
 

07.06.2003

„Alt wie ein Baum“ sind die Puhdys zwar noch nicht, aber mit 34 Jahren Bühnenerfahrung gehören sie immerhin schon zu den Dinos im Rockbusiness. In diesen Jahren haben Sänger Dieter „Maschine“ Birr und seine vier Mitstreiter jede Menge Songs geschrieben – und die Fans hatten viel, viel Zeit, die Texte dazu auswendig zu lernen. Auch die 1200 Feierfreudigen, die das Zelt bei der KulturPur-LateNightShow am Freitag bevölkerten. Laut sangen sie die Lieder der ehemaligen DDR-Kultband mit, die mit ihren schlichten Arrangements und lebensnahen Botschaften für mächtig Stimmung im kleinen Zelttheater auf dem Giller sorgte. Die mitreißende Show zeigte, dass das Quintett noch lange nicht reif für die Rente ist. Ob Dieter Birr, Dieter Hertrampf, Peter Meyer, Klaus Scharfschwerdt und Peter Rasym allerdings zu ihrem 40-Jährigen mit den Stones auf Tour gehen werden, wie Keyboarder Meyer es unlängst vorschlug? Daran dürfen doch leichte Zweifel angemeldet werden.  (aww)
 

10.06.2003

Eine Stimme wie zerbrechliches Glas
Standing Ovations für Esther Ofarim bei KulturPur / Kein Revival einstiger Popfolktitel
(La) Grund. Sie ist auf die Bühne zurückgekehrt. Nach einer Zwangspause, die sie sich selbst auferlegt hat: Esther Ofarim (eigentlich Esther Zaied). Sie war es leid, Lieder zu singen, die sie gar nicht singen wollte. Sie war es leid, das Vagabundieren, von Stadt zu Stadt, von Kontinent zu Kontinent. Nach ihrer Trennung von ihrem Partner Abi Ofarim heiratete sie eine zweites Mal, lebt zurückgezogen in Hamburg, bekam einen Sohn und nun, nach dem ihr Sohn erwachsen wird, startet sie ihre zweite Karriere. Sie sucht sich ihre Auftritte aus, ohne wieder vagabundieren zu müssen. Doch ihr Stern leuchtet heller denn je, ihre Fans sind ihr treu geblieben und ihre Stimme ist faszinierend wie eh und je.
Auf die Bühne zurückgekehrt ins Scheinwerferlicht ist eine kleine, zierliche Frau. Ganz in Schwarz mit einer feuerroten Haarpracht. Ihre Gesten sind sparsam, ihr Repertoire ist eine Mischung aus Folk und Klassik, aus Balladen und traditionellen israelischen Liedern. Sie singt in fünf Sprachen und auch wer hebräisch oder kubanisch nicht übersetzen kann, versteht, was sie ausdrücken will: Die Sehnsucht nach Liebe, nach Geborgenheit, nach dem kleinen Glück des Augenblicks. Und zum Glück hat sie nicht dort angeknüpft, wo sie Ende der 70er Jahre aufgehört hat. Das Publikum bei KulturPur am Samstag im restlos ausverkauften Festivalzelt erlebte einen Abend, an dem nur eins dominierte: die Stimme der Ofarim. ,,Dirty Old Town“ ist fast die einzige Reminisenz an die musikalische Vergangenheit. Jenes Lied einer alten Industriestadt mit ihren kalten Kaminschloten, grau und trostlos. In manchem Zuhörer mag in diesem Moment die Hoffnung auf Folktitel aufgekeimt sein, als der Stern der Ofarims am Interpreten-Himmel ganz hell leuchtete. Doch so gerne man noch einmal ,,Morning Of My Life“ oder ,,Cinderella Rockefella“ gehört hätte, die Ofarim erspart dem Zuhörer ein Revival an jene Zeit, als sie mit Cleopatra-Perücke und Nofretete-Augen auf der Bühne stand. Am Samstag blieb die Nostalgie draußen vor. Mit dem Pianisten Yoni Rechter, mit dem sie bereits seit 1977 zusammenarbeitet, und den Musikern Michail Paweletz (Geige) und Eli Degibri (Saxophon) hat sie ein 70-Minuten-Programm zusammengestellt, das wie Kammermusik im schrillen Pop-Klaumauk der geklonten Superstars von heute wirkt. Esther Ofarim wechselt vom israelischen Volkslied zu ,,She’s Leaving Home“ von Lennon/McCartney hin zum Tango von Noel Cowars ,,Mad About The Boy“, mit dem er sich das Leid des alternen Schwulen von der Seele schrieb. Ganz sanft wird ihre Stimme, wenn sie ein kubanisches Wiegenlied singt, dann wieder überwechselt zum schneidenden ,,Alabama Song“ von Brecht/Weill. Ihre Stimme ist immer noch atemberaubend wandlungsfähig und kann fast endlos die leisen Töne halten und überspringt mühelos drei Oktaven.
Tosender Beifall, Standing Ovations für Esther Ofarim, die getragen auf der Welle der Sympathie und Begeisterung des Publikums bei KulturPur immer lockerer wurde und zum Schluss das extrem Beherrschte ablegte. Sie schenkte ,,ihrem Publikum“ drei Zugaben, darunter Brahms ,,Guten Abend, gute Nacht“ und Mendelssohn Bartholdys Grüße ,,Leise zieht durch meine Gemüt liebliches Geläute“. ,,Wenn du eine Rose schaust, sag ich lass sie grüßen“, heißt es darin. Das Bild der Rose hätte auch gut auf Esther Ofarim gepasst, eine Rose, die von den KulturPur-Machern wieder entdeckt wurde und die die Seele berührte. 
 

10.06.2003

Chappo röhrt Hirsch an die Wand
Atmosphäre pur: packende Late-Night-Show mit Roger Chapman & The Shortlist
(bö) Grund. Hut ab, Chappo! Sechs Jahrzehnte hat Roger Maxwell Chapman anno 2003 auf dem Buckel. Aber er röhrt immer noch so inbrünstig, dass  selbst der Giller-Hirsch vor Neid erblasst und ehrfurchtsvoll sein mächtiges Geweih senkt. Musik pur war am Samstag bei KulturPur in der Late Night Show angesagt. Eine Melange aus Rock, Blues, Soul und anderen scharfen Ingredienzien, der selbst die bescheidene Zelt-Akustik nix anhaben konnte. Atmosphäre pur! Es war „one of these nights“: Die Luft zum Schneiden dick, eine Band, die so zuverlässig funktioniert wie die Autos, die heute nicht mehr gebaut werden und ein Sänger, der sein über Jahrzehnte gepflegtes, unverwechselbares Vibrato wie einst im Mai schmirgelt. Das Zelt groovte mit Roger Chapman & The Shortlist phasenweise um die Wette. Okay, der dem roten Overall entwachsene Shouter zertrümmert keine Tamburins auf der Bühne, aber er ist nach wie vor ein richtiges „Bühnentier“, dass nach eigenem Bekunden seine Energie aus der Interaktion mit dem Publikum saugt. Da fliegen Handtücher und Plastikpullen und Chapman fuchtelt mit dem Mikrofonständer, den er nicht mehr wie früher auf die Bretter donnert, herum, wie eine wild gewordene Miss Marple mit dem Regenschirm. Das ist Energie pur.
Nach der zweiten Nummer nimmt Chappo nicht nur einen kräftigen Schluck aus der Pulle, sondern genehmigt sich auch gleich eine kräftige Mineralwasser-Dusche. Und er schont seine Stimmbänder nicht, lässt sie – na logo – vibrieren, knarren, schreien. Klar, heute ist jeder auf der „Shortlist“, die für viele ein wenig kurz ist. Denn mit der Micky-Jupp-Nummer, die Chapmans tighter Combo den Namen gibt, ist nach knapp zwei Stunden Feierabend. Was fehlte? Der „Unknown Soldier“, „Let’s Spend The Night Together“ . . . Okay, jede/r im Publikum hatte auf ihrer/seiner persönlichen Setliste noch ein Plätzchen frei, aber insgesamt schnürten Chappo & Co. ein gelungenes Songpaket. „Prisoner“, „How How How“, „Hyenas Only Laugh For Fun“ oder ein relativ entspannt gespieltes „Shadow On The Wall“ sind natürlich unverzichtbare Klassiker. Höhepunkte waren ein im D-Zug-Tempo dahin rollender „Downbound Train“ und die elegische Hommage an den Blueser Willie McTell. Möglich, dass keiner den Blues so singt wie Blind Willie, aber so expressiv wie Roger Chapman, der die Töne irgendwo aus der Mitte seines Körpers hervorpresst, schreit sich auch kaum einer die Seele aus dem Leib. Die Stimmakrobatik ist das fette Sahnestück, aber die  Musiker – ja, das ist die gute alte britische Schule – stehen dem Frontmann nicht nach.
Steve Simpson greift nicht nur zu Gitarre und Mandoline, sondern lässt bei „Downbound Train“ den Bogen mit Vehemenz über die Geigenseiten fiedeln, Ian Gibbons ist ein souveräner „Herr der Tasten“, Bassist Gary Twigg und Drummer Henry Spinetti bilden eine formidable Rhythmusgruppe und Saxophonist Andi Hamilton schraubt mitreißende Soundkaskaden unters Zeltdach. Klar, es ist „nur“ Rock ’n’ Roll, aber, wenn er mit soviel Herz-Hingabe gespielt wird, mögen wir ihn natürlich immer noch. Nostalgie kann nicht nur schön, sondern auch ansteckend lebendig sein! 
 

10.06.2003

Wirbelwinde auf dem Giller
Der TopAct für die Familie: Flying Danish Superkids
(aww) Grund. Das „kleine technische Problem“ zu Beginn machen die Flying Danish Superkids in null Komma nichts vergessen. Der Samstagnachmittags-Familien-TopAct entführt kleine wie große Zuschauer von der ersten Sekunde seines „Sunshine“-Programms an in eine Traumwelt aus atemberaubender Akrobatik, faszinierender optischer Illusion und mitreißenden Melodien und Rhythmen, die für einen Nachmittag den Alltag von 1500 KulturPur-Freunden aus dem Zelt aussperrt. Überdimensional große, fluoreszierende Lippen begrüßen singend und sprechend das Publikum zu einer rasanten Wahnsinnsshow mit über 30 Kindern und Jugendlichen von sieben bis 20 Jahren, die eine für ihr Alter schier unglaubliche Leistung an den Tag legen. Wer hätte etwa gedacht, dass diese kleinen Nachwuchstänzer/innen schon so komplizierte und ausgefeilte Choreographien, mal spritzig und zackig, mal sanft und anmutig, mit solch erstaunlicher Körperbeherrschung hinbekommen?
Doch nicht umsonst durften die Flying Superkids bislang schon in 31 Ländern ihre tollen Leistungen zeigen, wie Uwe Godbersen erklärte, der die Truppe 1967 gründete und auf dem Giller mit vielen nützlichen Erklärungen zur Philosophie des Superkids-Unternehmens durchs Programm führt und auch dass eine oder andere „Geheimnis“ verrät. So erfahren die Zuschauer beispielsweise, dass die Superkids in Dänemark ein Trainings-Center in einem umgebauten alten Bauernhof haben und dass die jungen Akrobaten auch dann immer genug Schlaf bekommen, wenn sie von einem Ort zum anderen reisen – denn der Bus der Superkids hat richtige Betten, in denen sich die kleinen Stars bestens von ihren anstrengenden Auftritten erholen können. Groß und Klein erfährt auch, dass die Kids nicht mehr als drei Mal pro Woche trainieren. „Mehr dürfen sie nicht, denn sie sollen sich ihre Lebensfreude erhalten“, erklärt Uwe Godbersen. Tanzen oder Turnen? Die Superkids müssen sich nicht entscheiden, denn sie können beides richtig gut. Salti und Schrauben am Trampolin? Null Problemo. Hula-Hoop mit bis zu 48 Reifen? Auch das! Eine Spagat-Tanzchoreographie? Na klar! Radschlagen im Wirbelwind-Tempo? Logo! Die Flying Danish Superkids haben einfach alles drauf. Und neben akrobatischen Höchstleistungen gibt es zur Abwechslung auch immer wieder traumhaft schöne Illusionen fürs Auge (wie die herrlich choreographierte Bilderrahmen-Nummer) oder einfach lustige Einlagen (wie die Morgengymnastik für Rentner). Ergänzt wird das Ganze mit informativen Videoeinspielungen, die die Superkids in New York, Japan oder auch in ihrer dänischen Heimat zeigen. Jung und Alt ist ganz aus dem Häuschen vor Begeisterung für die freundlichen Superkids, die zum guten Schluss noch mit einer ganz besonders sympathischen Aktion aufwarten: Sie verabschieden sich per Handschlag von ihrem Publikum. 
 

10.06.2003

Berückend schön und manchmal bedrückend
„The Wall“-Inszenierung des Kieler Tanztheaters ging unter die Haut / Betörende Bilder auf Bühne gezaubert / Minutenlange Ovationen des Publikums
(bö) Grund. Eine Frau hängt an der hohen Wand. Verloren wirkend wie ein Schwalbennest am Matterhorn. Drei farbige Kästen werden hin und her über die 300 Quadratmeter große Bühne geschoben. In den Behältnissen, die fast wie Brutkästen auf Rollen wirken, regt sich Leben. Die Menschen wollen raus. Hände, Fäuste, die ganzen Körper dehnen und zerren am elastischen „Fliegengitter“ an der Kastenseite. Weich und schwammig gibt es nach, um wieder zurückzuschnellen. Die Mauer steht. Ein Kinderwagen-Gerippe rauscht vorbei. Menschen in weißen Patientenkitteln werden auf Rollwägelchen fremdbestimmt verschickt. Durchsichtige Inhalationsmasken fallen an roten Fäden von der Decke. Wie Ertrinkende greifen die Weißkittel danach. Tief einatmen! Damit Ruhe ist im Kuckucksnest. Bis einer davonfliegt . . . Zum Soundtrack von Pink Floyd. 
Das ging unter die Haut. Ließ Münder staunend offen stehen. Tanztheater, das die Grenze zur Akrobatik mehr als nur einmal streifte. Choreographien in irrwitzigem Tempo voll rasanter Schrittfolgen. Das Ballett der Bühnen der Landeshauptstadt Kiel sorgte am Sonntag für einen der absoluten Höhepunkte der 13. Auflage von KulturPur. Minutenlang spendete das Publikum im einmal mehr vollbesetzten Zelt stehend Applaus für die Inszenierung und choreographische Bearbeitung des Pink-Floyd-Konzept-Albums „The Wall“ des so jungen wie erfolgreichen Kieler Ballettdirektors Mario Schröder.
Auch wenn die „Wall“-Musik im Schaffen von Pink Floyd – alle „Rockopern“ wirken immer irgendwie bemüht – nicht der größte Hit ist: Als Soundtrack für die Bewegungswunder aus dem hohen Norden – ergänzt durch eine feine Prise Bach – funktioniert das überwiegend von Roger Waters komponierte Werk. Auch wenn sich die Augen manchmal in den auf der Bühne beschworenen – durch eine tolle Lichtregie stimmig optimierten - visuellen Welten zu verlieren drohen, schafft es Schröders brillante Inszenierung in die Herzen des Publikums. „The Wall“ ist mehr als ein faszinierendes Schaustück: es rührt an. Wie immer man das Geschehen interpretieren mag, es hat mit uns zu tun. Mit der Einsamkeit, mit dem Alleinsein in der Masse, mit Vater, Mutter und Geliebter/m, mit den Zwängen der Gesellschaft, mit Erziehern, mit vermeintlich Kranken und genauso vermeintlich Gesunden, mit Ausbruchsversuchen und Rückfällen. All dies setzen die Kieler in traumhaft schöne Bewegung um. Die mehr als 20 Tänzerinnen und Tänzer lassen die Bühne radschlagend rotieren, explodieren in rasanten Sprüngen, schnellen von einer Seite der Riesenbühne zur anderen, stürzen um- und übereinander, benutzen Krankenliegen als akrobatische Hilfsmittel und bieten dabei eben  mehr als „nur“ technisch perfektes Tanztheater, eine Parabel auf Lebenswege. Immer wieder gelingen dem Ensemble Bilder von berückender und manchmal eben auch bedrückender Schönheit. So lebensfroh die Kissenschlacht rüberkommt, so nahe gehen die Szenen in denen die Patienten/innen, kopfzuckend oder an langen Bänder wie Marionetten gehalten, wie fremdbestimmt über die Bühne torkeln. Es braucht, das hat die Geschichte immer wieder gezeigt, nicht viele, um die Masse auf Kurs zu bringen und zu halten. Hinter dem „Wall“ haben die Chefin (glänzend Anne-Marie Warburton, die so in jedem James-Bond-Film die irre Ärztin des Superbösewichts spielen könnte) und ihr Personal (Lars Scheibner und Sebastian Wagner agieren mit der Ausdruckskraft von Stummfilmdarstellern) alles im Griff.
Unbestrittener Publikumsliebling war auf dem Giller Oliver Preiß, der in der schweißtreibenden Hauptrolle des „Er“ alle in seinen Bann zog. Aber auch Tina Slabon als seine Freundin, Amy Share Kissiov als seine Mutter und das ganze Ensemble verzauberten das ganze Zelt. Applaus auch für die sechs Siegerländer Statisten/innen, die den Mut hatten, durch die Mauer zu gehen. Und dafür auch schon mal kopfüber an der Wand hängen mussten.
Mut bewiesen auch Festivalchef Wolfgang Suttner und seine Kollegen, die die gewaltige Produktion auf den Giller geholt haben: mehr geht finanziell und administrativ nicht. Wolfgang Suttner: „Wir haben seit Samstag 22.30 Uhr aufgebaut.“ Der Einsatz hat sich gelohnt, wie der Beifall des euphorisierten Publikums bewies.
 

10.06.2003

Viva Oropax? – Wahnsinn!
Am Sonntag gab es Chaostheater zu später Stunde
(zel) Grund. Die beiden sind echt zu viel. Sie sind zu hibbelig, zu albern, zu verwandt. Sie tragen einen großen Namen: Chaostheater Oropax. Chaos stimmt. Am späten Sonntagabend trieben „immerhin“ Volker und „nur“ Thomas Martins das kleine Theaterzelt auf dem Giller bei KulturPur in den Wahnsinn. Der hatte nur bedingt Methode. Einige Zuschauer schafften es noch, frühzeitig zu entfliehen, andere gaben sich dem Comedy-Wahn genussvoll hin und feierten den „Doppelten Halbbruder“ am Schluss mit reichhaltigem Applaus.
Was haben wir da eigentlich gesehen? Ein Programm, das wirkte, als führten es die körperbetonten Brüder „very close to win“ (in der Nähe von Siegen) zum ersten Mal auf. Einen gut anderthalbstündigen Einblick in den Improvisationskurs für Komiker an der Schauspielschule. Zwei Männer, die in langen Nächten zu viel mit dem „Zeit“-Rätsel um die Ecke gedacht haben – so abartig, wie sie manches (auch nur annähernd) phonetisch Gleichklingendes für ihre Zwecke gebrauchen. Beispiel? „Irgendwann wird es mit der Angst phobie sein.“ („Vorbei“, Anm. der Red.)
Die Kombi aus abgefeimten Sprachspielereien und brachialer Albernheit funktionierte oft, aber nicht immer. Sagen wir, zu 79 Prozent. Der Mönch, der auf der Bühne nichts verloren hat, hat ja auch nichts gefunden. Er hat dort nichts zu suchen, aber er hat ja auch nichts verloren. Er hat einen Strohkranz auf dem Kopf, „habe die Ähre“, sozusagen. „Zöliküche, Zöliwohnzimmer, Zölibad“: bis hierher sehr schön. Die Grönemeyer-Nummer „Der Mönch heißt Mönch“ war dann leider nicht mehr so gut, weil hier der Sprachwitz fehlte. Wenn sich die Oropaxe ganz auf den Wortwahnwitz konzentriert hätten wie zum Beispiel der selige Österreicher Alf Poier beim Siegener Sommerfestival im vergangenen Jahr, hätten sie das ganz große Los gezogen. Da ist so viel Potenzial: „Halt mal die Fraise (frz. Erdbeere)!“ – Wenn das jetzt Pfirsich wäre, hättest du pêche gehabt!“ Mit dem Märchen vom Froschkönig, bei dem Thomas einen sattgrünen Ballon auf dem Kopf trug und Volker als Prinzessin sich Schweißperlen unter den Achseln hervorzog, setzten die Brüder dann aber wieder auf den rein optischen Klamauk, über den man lachen konnte oder auch nicht.
Schon lustig, dass vor allem Thomas sich selber schlapp lachte über den Pipifax, den Oropax da auf die Bühne brachte. Das machte den Herrn sympathisch. Nahm den beiden Männern aber auch gelegentlich die Möglichkeit, einen feinen Gag punktgenau zu platzieren. Vielleicht gehört das jetzt aber auch zum Konzept eines Chaostheaters. Vielleicht gibt es aber auch gar kein Konzept. Wer weiß?
„Viva Mexico.“ – „Im Sommer ziemlich schwül.“ Dafür muss man die beiden einfach gern haben. Und wie war Oropax? Zu Pfingsten ziemlich wahnsinnig. 

10.06.2003

International in jeder Hinsicht
Publikum aus ganz Europa sah ausverkaufte TopActs
(sz) Grund. Das Musik- und Theaterfestival KulturPur ist, was seine Künstler betrifft, seit 13 Jahren international. Inzwischen kommt auch das Publikum aus ganz Europa ins Siegerland: Die Verfeinerung der Marketinginstrumente und die Buchbarkeit über Internet brachten dem Festival in diesem Jahr Besucher aus Italien, Ungarn, Holland, Schweden und der Schweiz. Kaum eine große deutsche Stadt, die nicht in den Buchungslisten auftaucht. Festivalleiter Wolfgang Suttner: „Die Konsequenz, ein stimmungsvolles Kulturevent mit regionaler Bodenhaftung aufzubauen und qualitätsvoll weiterzu- entwickeln, hat sich ausgezahlt.“
Sechs TopActs waren absolut ausverkauft. Exklusivität war dabei selbstverständlich: Hubert von Goisern spielte bei KulturPur sein erstes deutsches Konzert für 2003, Esther Ofarim tritt mit ihrem Konzertabend nur an ausgewählten Plätzen auf und für die Mario Schröder Tanzkompanie aus Kiel war es die erste große Festivalproduktion. Das Tanztheater auf der Basis des Pink-Floyd-Opus „The Wall“ wurde vom Publikum frenetisch gefeiert und war zugleich die Nagelprobe für Technik, Bühnenbau und Organisation. Die Bühne im Zelt auf der grünen Wiese wurde mit viel Aufwand auf Staatstheaterniveau hochgerüstet, ein Einsatz, der Organisationsleiter Georg Klein und Technikdirektor Jens von Heyden mehrere schlaflose Nächte bereitete. Publikum und Veranstalter sind sich einig, dass der Sonntagabend eins der weit herausragenden Ereignisse der Festivalgeschichte gesehen hat. Mitveranstalter Hartmut Kriems: „Wir haben damit beweisen können, dass KulturPur trotz eines gigantischen Ansturms auf populäre Musik-Acts auch in der Lage bleiben wird, internationales Theater zu zeigen.“
Trotz einer nochmaligen Steigerung des Abendkartenverkaufs um 15 Prozent und mehr als 20 Prozent Besucher von außerhalb des Kreisgebietes musste KulturPur leichte Rückgänge am Nachmittag hinnehmen. Zirka 48 000 Besucher, etwa 2000 weniger als im vergangenen Jahr, kamen insgesamt auf den Giller. Dies lag vor allem an der landesweit verbreiteten Unwetterwarnung für den Sonntag, den normalerweise besucherstärksten Tag. „Zum anderen ist es vielleicht auch notwendig, die Gesamtstruktur der Familientage neu zu überdenken“, so Mitveranstalter Michael Townsend. „KulturPur hat sich zu einem großen Festival mit internationaler Qualität entwickelt, das Programm am Nachmittag bedarf einer Innovation.“ „Freilich ein Spagat“, weiß Suttner, „denn umsonst und draußen schafft zwar die breite Akzeptanz für Kultur, ist aber schwer refinanzierbar.“ Doch angesichts der großen Verkaufserfolge wird sich hier sicherlich ein Weg finden lassen, das Kulturereignis KulturPur weiter zu verfeinern und neue Trends zu setzen. 
 

10.06.2003

Gillergnome, Waldschrate und Lützelfeen – unter diesem Motto standen die Workshops im und am kleinen Zelt der Jugendkunstschule Siegen-Wittgenstein auf der Ginsberger Heide. Mit Hammer und Stecheisen wurden die Nachwuchskünstler bildhauerisch an Baumstammsegmenten tätig, die später zusammengesetzt einen 15 Meter langen Riesenholzwurm ergeben sollten. Wie man aus einer speziellen Seifenlauge und Schafswolle Filz macht, konnten die Kleinen in einem anderen Workshop erfahren. Mit Holz, Perlen und Federn konnten in einem weiteren Kurs kleine „Schamanen“ ihre ganz eigenen „Fetische“ herstellen, mit denen der Regen ferngehalten werden sollte. Was eigentlich auch ganz gut geklappt hat, nicht wahr?  aww
 

06.06.2003

Die Walkacts und Open-Air-Performer gehören zu KulturPur, wie der Hering zu den Pellkartoffeln. Auch in diesem Jahr sorgten wieder diverse Spaßmacher und Illusionisten für tolle Freiluft-Unterhaltung rund um die imposanten Zeltbauten auf dem Giller: die herrlich albernen Comedians der Horst-und-Ewald-Truppe, die mittlerweile bestens bekannten Londoner Covent Garden Streetperformer, die Phoenix Theatre Company mit ihrer traumhaften Seiden-Luft-Collage. Und da ja auch das Wetter – man höre und staune und glaubt es kaum – im Großen und Ganzen mitmachte, konnten die vielen, vielen kleinen und großen Besucher neben der tollen Natur „auf der Lützel“, einem leckeren Eis oder einer heißen Bratwurst auch noch die Gratis-Open-Air-Unterhaltung auf dem Festivalgelände ausgiebig genießen.  aww 
 

11.06.2003

Reisen ohne viel Gepäck
Hubert von Goisern beendete mit „alpiner Weltmusik“ das 13. KulturPur-Festival
(zel) Grund. „Wanderer zwischen den Welten“: So oft gehört diese Wendung auch sein mag, auf Hubert von Goisern trifft sie zu. Seine Musik lebt aus der volkstümlichen Tradition, kommt aber zum Glück ohne das breite Grinsen der Fernseh-Volksmusik aus. Der Österreicher hat sich stattdessen lieber mit Augen und Ohren auf die ganze Welt eingelassen, die beileibe keine heile ist, und sammelt Rhythmen und Töne aus aller Herren Länder. Zusammen mit den Rhythmen und Tönen seiner Heimat hat er etwas geschaffen, das sich „alpine Weltmusik“ nennt. Rund 2400 Zuhörer gingen am Montagabend mit auf die Reise, als Hubert von Goisern und Band den letzten TopAct bei KulturPur 2003 im großen Zelt bestritten. Musiker und Publikum hatten sichtlich ihren Spaß. Ob alt oder jung, ob in Jeans und T-Shirt oder im kompletten Trachten-Outfit: Die von Goisern-Fangemeinde passt in keine Schublade. Genauso wenig wie das, was sie in knapp zweieinhalb Stunden ohne Pause zu hören bekam. Von Goisern und seine sechsköpfige Band ließen es zunächst langsam angehen. Blues und Balladen mit österreichischen Texten, versetzt mit „Slow-Jodlern“, klangen durch das Zelt. Als Band und Publikum miteinander warm geworden waren, wurde der musikalische Horizont weiter: „Gemma nach Afrika“. Aber im Gepäck hamma immer den österreichischen Landler, die Polka, den mehrstimmigen Gesang, das Akkordeon, die Mundharmonika. Unerhörte Mischung, so ein Jodel-Reggae. Da jauchzten die Siegerländer.
“Music makes the people come together“: Madonna hat sich nicht geirrt, als sie von der völkerverbindenden Kraft der Musik sang. Man kann sich gut vorstellen, dass Hubert von Goisern auf dem Weltmusikmarkt nicht nur ein Importeur ist. Er hat auch etwas zu geben. Nicht umsonst hat er noch vor kurzem bei einem Weltmusikfestival auf den Kapverden gespielt und auf seinen Reisen nach Afrika, Asien und in die Karibik nicht nur gesammelt, sondern auch „ausgeteilt“. Hört's her: Traditionals aus Österreich!
Von Goiserns Band scheint von dem Konzept komplett überzeugt: Antonio Porto (Bass), Burkhard Frauenlob (Keyboard), Bernd Bechtloff (Percussion), Bernhard Wimmer (Schlagzeug) und Gerhard Überbacher (Gitarre) gehen mit dem Frontmann überall hin. Als charmante Reisebegleiterin haben sie Marlene Schuen an Bord, die lupenrein mitjodelt und die Violine spielt, wo sie gebraucht wird. So lieferten die Musiker ein erstklassiges funky Acid-Jazz-Stück ab, dann ging es off-beat-mäßig los wie einst bei den Pogues, dann wieder Alpenrock wie damals mit den Alpinkatzen. Ein bisschen Salsa, ein bisschen Meditationsmusik, „I bin an“ zum Mitsingen: Weniger ist mehr? - Mehr ist mehr! Wenn es musikalisch zusammen passt, und es passte.
Hubert von Goiserns „Iwasig“-Tourstart ist geglückt. Als der letzte Jodler überm Giller verklungen war, machten sich die begeisterten Fans wieder auf den Weg in ihre Heimat, vielleicht mit ein bisschen Fernweh im Herzen. Auf den Hit vom „Hiatamadl“ mussten sie zwar verzichten, aber das ist logisch. Zu viele alte Klamotten im Gepäck sind auf weiten Reisen einfach unpraktisch.