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07.06.2003
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Gospelfeuer brannte auf Sparflamme Der
Funke wollte beim Eröffnungs-TopAct von KulturPur nicht
so recht überspringen (aww) Grund. Schade. Wirklich
jammerschade . . . Dass die Damen und Herren um Helmut
Jost allesamt ihr Handwerk beherrschen, das weiß die
Siegerländer Gospelgemeinde. Daran besteht auch kein
Zweifel. Dass eine solche Gospelfire-Besetzung wie am
Donnerstag beim Eröffnungsabend von KulturPur normalerweise
dazu angetan sein sollte, das ausverkaufte Zelttheater
dermaßen zum Kochen zu bringen, dass der Schweiß an
den Wänden runterläuft, klingt auch logisch. Dass die
Gospelfire International Allstars als erster TopAct
des diesjährigen Festivals auf dem Giller aber tatsächlich
die Stimmung unter den 1500 Besuchern allenfalls zum
Köcheln bringen konnten, damit hatte im Vorfeld wohl
niemand gerechnet. Dass der Gospelfunke
– vor allem in der ersten Konzerthälfte – kaum von der
Bühne herunter ins Publikum springen wollte, war überdeutlich
spürbar. Das musste der im Siegerland bestens bekannte
Solist David Thomas – wie vermutlich sämtliche seiner
Mitstreiter auf der Bühne – wohl auch gemerkt haben.
„Die Erwartungen sind groß“, verabschiedete er das Publikum
in die Pause. In der Tat: Die Ansprüche an einen TopAct
bei Europas größtem Zeltkulturfestival, noch dazu am
Eröffnungsabend, sind extrem hoch – entsprechend verhält
es sich mit den Erwartungen des Publikums. Wenn
es den Akteuren doch nachweislich nicht an Könnerschaft
mangelt, wo lag dann das Problem? Vermutlich an einer
Vielzahl von Kleinigkeiten, die, alle zusammen genommen,
das Gesamtbild nicht unbeträchtlich trübten. Der undifferenzierte
Sound etwa mit zu lauter Instrumentalfraktion und entsprechend
schlecht zu verstehendem Gesang. Die hohe Lautstärke,
die zumindest in den vorderen Reihen und vor allem im
hohen Frequenzbereich mächtig Druck auf den Ohren machte.
Die zuweilen offensichtliche Textunsicherheit der Vokalisten
– verbunden mit deutlichem Hang zum Notenständer – und
verschiedentliche Abstimmungsprobleme unter den Mitwirkenden
(z. B. im Hinblick auf Songabläufe), die das Ganze nicht
immer hundertprozentig souverän wirken ließen. Vielleicht
auch die sichtliche – und sehr verständliche – Anspannung
der Ausführenden, die die Gesamtdarbietung nicht der
Musik angemessen locker wirken ließ. Am
Songmaterial kann es kaum gelegen haben, denn das ist
in der Region nun wirklich bestens bekannt, seien es
die Eigenkompositionen Josts oder auch bekannte traditionelle
Gospels. Musikalisch freilich gab es eigentlich auch
nichts auszusetzen. So präsentierte sich die Band unter
der Leitung von Helmut Jost (Piano, Vocals) als tight
und souverän aufspielende Einheit: Neben Armin Müller
(Organ) und Frieder Jost (Guitar) war mit Matthias Gräb
(Bass) und Ralf Gustke (Drums) eine sehr beeindruckende
Rhythmusfraktion am Start. Die Gesangsriege – David,
Tyndale und Kadria Thomas, Ruthild und Beverly Wilson,
Genevieve Brown, Sabine Jost – hatte es natürlich auch
drauf und wusste als Chor, aber auch mit zum Teil verblüffenden
Solospots zu gefallen. Auch wenn Abgeh-Nummern
wie das treibende „Move, Spirit, Move“ eigentlich alles
an Tanz- und Feierpotenzial hatten, was sich der Musikfan
wünschen kann, bedurfte es doch immer wieder der Animation
durch die Akteure, um das Publikum zum Mitklatschen,
-machen und -singen zu animieren. Erst in der zweiten
Hälfte verselbstständigte sich die Stimmung beim Publikum,
so dass zum Schluss mit dem flotten „Blessed Be His
Name“, dem stampfenden „This Train“ und dem ausgedehnten
Kracher „Oh Happy Day“ doch noch Feierstimmung aufkam.
Zwischendurch sorgten immer mal wieder balladeske Klänge
wie bei „Marvellous“, „Deep River Of Love“ oder „Light
A Candle“ für schöne musikalische Kontraste — in diesen
Momenten kamen die Stimmen herausragender Solisten wie
Tyndale und David Thomas ganz besonders gut zur Geltung. Mit
dem schönen, ruhigen Chorsatz „May The Lord Send Angels“
endete das offizielle Programm nach über zweieinhalb
Stunden. Zugabe? Selbstverständlich, denn zu diesem
Zeitpunkt waren die Zuhörer/innen dann doch mächtig
aufgewärmt vom Gospelfeuer: Und mit „Amen“ lässt sich
schließlich auch richtig gut losfetzen. Die Stimmung
vom Ende schon am Anfang – und alles wäre perfekt gewesen.
Schade. Wirklich jammerschade . . .
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07.06.2003
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Als wäre es erst gestern gewesen
. . . 2400 Rock-Nostalgiker feierten Manfred
Mann’s Earth Band mit ohrenbetäubendem Applaus (aww)
Grund. Der Jubel, das Pfeifen, die Applausstürme, die
unnachgiebig Zugabe fordern, sind ohrenbetäubend. Viel
lauter noch, als die anderthalb Stunden exquisiter Rockmusik,
die zuvor das große Zelttheater in eine Zeitmaschine
verwandelt hatte, mit der 2400 Fans eine faszinierende
musikalische Reise zurück in die 70er und 80er Jahre
angetreten hatten. An der Spitze kompetente Reiseführer:
Manfred Mann und seine Earth Band. „Spirits
In The Night“, „Blinded By The Light“, „Redemption Song“,
„Demolition Man“ – wer in seligen Teenie-Jahren die
84er-Live-Scheibe „Budapest“ auf dem Plattenspieler
hatte hoch und runter dudeln lassen, der durfte am Freitag
auf dem Giller noch einmal so richtig ins Schwärmen
geraten. Die meisten erwartbaren Klassiker hatte der
KulturPur-TopAct am Start (schmerzlich vermisst aber:
„For You“ und „Questions“), und die Earth Band spielte
mit einem Elan wie anno dunnemals. Als wäre es gestern
gewesen – und nicht schon knapp 20 Jahre her . . . Doch
wir schreiben das Jahr 2003. Und da fragt man/frau sich
wohl mit einigem Recht: Manfred Mann’s Earth Band, ist
das nicht etwas für ein paar hoffnungslose Nostalgiker,
die in Gedanken noch immer der „guten, alten Zeit“ nachhängen
– der „guten, alten Zeit“ des Rock (die ja schon zu
den Hochzeiten der Earth Band gar nicht mehr so „gut
und alt“ war)? Mag sein, doch wenn dem so ist, dann
jedenfalls gibt es im Siegerland die hoffnungslosen
Nostalgiker im Dutzend billiger – denn das Konzert der
Earth Band bei Europas größtem Zeltkulturfestival war
bereits lange im Vorfeld bis auf die allerletzte Karte
ausverkauft. Damit erst gar keine Missverständnisse
aufkommen: Auch wenn die Earth Band schon über 30 Jahre
alt ist und Front-Mann Manfred schon seit nunmehr vier
Jahrzehnten im Rockbusiness mitmischt – von einer der
zahllosen, peinlichen Oldieshows ist der Keyboard-Wizard
weit entfernt. Selbst im fortgeschrittenen Alter liefert
Mann eine hochkarätige Show, die im großen Rockzirkus
durchaus bestehen kann, auch wenn der in die Jahre gekommene
Tasten-Mann des Öfteren den Schlapphut lüften und die
Glatze mit einem Handtuch vom Schweiß befreien muss.
Und auch, wenn sein „Gekläffe“ eher klingt wie das eines
erkälteten Schoßhündchens. Aber er muss ja (glücklicherweise,
wie sich an einem einzelnen Fallbeispiel schnell hören
ließ) nicht singen: Und die Finger, die sind zweifelsohne
noch immer in Topform und eines Mini Moogs mehr als
würdig. Der Bandleader baut im neuen Jahrtausend
auf eine größtenteils altbewährte Mannschaft, darunter
Gitarrero/Sänger/Gründungsmitglied Mick Rogers. Ebenso
schon einige Jährchen haben Bassist Steve Kinch und
der charismatische Lead-Vokalist Noel McCalla bei der
Earth Band auf dem Buckel. Lediglich Drummer Geoff Dunn
ist noch relativ neu in Manfred Manns „Musiker-Stall“.
Erfahrung macht sich bezahlt, könnte man meinen, denn
das, was das Quintett im Gillerzelt abliefert, ist von
höchster Präzision und Souveränität. Der Stimmungslevel
bricht in den zwei Stunden nicht ein einziges Mal ein,
ist allerdings bei den alten Klassikern auf einer nach
oben offenen Skala steigerungsfähig: Bei „Don’t Kill
It Carol“ klatscht die Rockgemeinde kräftig mit, bei
„Blinded By The Light“ sind fast alle Arme oben, beim
ausufernden „Father Of Day, Father Of Night“ mit grandiosem
Gitarrensolo, toller dynamischer Steigerung und rasantem
Gitarren-/Keyboard-Duell steht das Zelt Kopf. Seltsam,
diese herrlich-verstörende und doch ergreifende Mann’sche
Melange aus Emotionalität und Feeling auf der einen
und schon fast unterkühlter Sterilität auf der anderen
Seite. Aber die Mischung greift, Manns technokratische
Keyboard-Spielweise mit den abgefahrensten Sounds
hier, Rogers einfühlsam-dynamisches Gitarrenspiel dort
– nichts verfehlt seine Wirkung. Schon gar nicht die
Zugaben: Bei „Davy’s On The Road Again“ und dem zum
guten Schluss richtig abgefeierten „The Mighty Quinn“
singt alles lauthals mit, was Stimmbänder hat. MIGHTY!
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07.06.2003
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„Alt wie ein Baum“ sind
die Puhdys zwar noch nicht, aber mit 34 Jahren Bühnenerfahrung
gehören sie immerhin schon zu den Dinos im Rockbusiness.
In diesen Jahren haben Sänger Dieter „Maschine“ Birr
und seine vier Mitstreiter jede Menge Songs geschrieben
– und die Fans hatten viel, viel Zeit, die Texte dazu
auswendig zu lernen. Auch die 1200 Feierfreudigen, die
das Zelt bei der KulturPur-LateNightShow am Freitag
bevölkerten. Laut sangen sie die Lieder der ehemaligen
DDR-Kultband mit, die mit ihren schlichten Arrangements
und lebensnahen Botschaften für mächtig Stimmung im
kleinen Zelttheater auf dem Giller sorgte. Die mitreißende
Show zeigte, dass das Quintett noch lange nicht reif
für die Rente ist. Ob Dieter Birr, Dieter Hertrampf,
Peter Meyer, Klaus Scharfschwerdt und Peter Rasym allerdings
zu ihrem 40-Jährigen mit den Stones auf Tour gehen werden,
wie Keyboarder Meyer es unlängst vorschlug? Daran dürfen
doch leichte Zweifel angemeldet werden. (aww)
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10.06.2003
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Eine Stimme wie zerbrechliches
Glas Standing Ovations für Esther Ofarim
bei KulturPur / Kein Revival einstiger Popfolktitel (La)
Grund. Sie ist auf die Bühne zurückgekehrt. Nach einer
Zwangspause, die sie sich selbst auferlegt hat: Esther
Ofarim (eigentlich Esther Zaied). Sie war es leid, Lieder
zu singen, die sie gar nicht singen wollte. Sie war
es leid, das Vagabundieren, von Stadt zu Stadt, von
Kontinent zu Kontinent. Nach ihrer Trennung von ihrem
Partner Abi Ofarim heiratete sie eine zweites Mal, lebt
zurückgezogen in Hamburg, bekam einen Sohn und nun,
nach dem ihr Sohn erwachsen wird, startet sie ihre zweite
Karriere. Sie sucht sich ihre Auftritte aus, ohne wieder
vagabundieren zu müssen. Doch ihr Stern leuchtet heller
denn je, ihre Fans sind ihr treu geblieben und ihre
Stimme ist faszinierend wie eh und je. Auf die Bühne
zurückgekehrt ins Scheinwerferlicht ist eine kleine,
zierliche Frau. Ganz in Schwarz mit einer feuerroten
Haarpracht. Ihre Gesten sind sparsam, ihr Repertoire
ist eine Mischung aus Folk und Klassik, aus Balladen
und traditionellen israelischen Liedern. Sie singt in
fünf Sprachen und auch wer hebräisch oder kubanisch
nicht übersetzen kann, versteht, was sie ausdrücken
will: Die Sehnsucht nach Liebe, nach Geborgenheit, nach
dem kleinen Glück des Augenblicks. Und zum Glück hat
sie nicht dort angeknüpft, wo sie Ende der 70er Jahre
aufgehört hat. Das Publikum bei KulturPur am Samstag
im restlos ausverkauften Festivalzelt erlebte einen
Abend, an dem nur eins dominierte: die Stimme der Ofarim.
,,Dirty Old Town“ ist fast die einzige Reminisenz an
die musikalische Vergangenheit. Jenes Lied einer alten
Industriestadt mit ihren kalten Kaminschloten, grau
und trostlos. In manchem Zuhörer mag in diesem Moment
die Hoffnung auf Folktitel aufgekeimt sein, als der
Stern der Ofarims am Interpreten-Himmel ganz hell leuchtete.
Doch so gerne man noch einmal ,,Morning Of My Life“
oder ,,Cinderella Rockefella“ gehört hätte, die Ofarim
erspart dem Zuhörer ein Revival an jene Zeit, als sie
mit Cleopatra-Perücke und Nofretete-Augen auf der Bühne
stand. Am Samstag blieb die Nostalgie draußen vor. Mit
dem Pianisten Yoni Rechter, mit dem sie bereits seit
1977 zusammenarbeitet, und den Musikern Michail Paweletz
(Geige) und Eli Degibri (Saxophon) hat sie ein 70-Minuten-Programm
zusammengestellt, das wie Kammermusik im schrillen Pop-Klaumauk
der geklonten Superstars von heute wirkt. Esther Ofarim
wechselt vom israelischen Volkslied zu ,,She’s Leaving
Home“ von Lennon/McCartney hin zum Tango von Noel Cowars
,,Mad About The Boy“, mit dem er sich das Leid des alternen
Schwulen von der Seele schrieb. Ganz sanft wird ihre
Stimme, wenn sie ein kubanisches Wiegenlied singt, dann
wieder überwechselt zum schneidenden ,,Alabama Song“
von Brecht/Weill. Ihre Stimme ist immer noch atemberaubend
wandlungsfähig und kann fast endlos die leisen Töne
halten und überspringt mühelos drei Oktaven. Tosender
Beifall, Standing Ovations für Esther Ofarim, die getragen
auf der Welle der Sympathie und Begeisterung des Publikums
bei KulturPur immer lockerer wurde und zum Schluss das
extrem Beherrschte ablegte. Sie schenkte ,,ihrem Publikum“
drei Zugaben, darunter Brahms ,,Guten Abend, gute Nacht“
und Mendelssohn Bartholdys Grüße ,,Leise zieht durch
meine Gemüt liebliches Geläute“. ,,Wenn du eine Rose
schaust, sag ich lass sie grüßen“, heißt es darin. Das
Bild der Rose hätte auch gut auf Esther Ofarim gepasst,
eine Rose, die von den KulturPur-Machern wieder entdeckt
wurde und die die Seele berührte.
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10.06.2003
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Chappo röhrt Hirsch an die Wand Atmosphäre
pur: packende Late-Night-Show mit Roger Chapman &
The Shortlist (bö) Grund. Hut ab, Chappo! Sechs
Jahrzehnte hat Roger Maxwell Chapman anno 2003 auf dem
Buckel. Aber er röhrt immer noch so inbrünstig, dass
selbst der Giller-Hirsch vor Neid erblasst und ehrfurchtsvoll
sein mächtiges Geweih senkt. Musik pur war am Samstag
bei KulturPur in der Late Night Show angesagt. Eine
Melange aus Rock, Blues, Soul und anderen scharfen Ingredienzien,
der selbst die bescheidene Zelt-Akustik nix anhaben
konnte. Atmosphäre pur! Es war „one of these nights“:
Die Luft zum Schneiden dick, eine Band, die so zuverlässig
funktioniert wie die Autos, die heute nicht mehr gebaut
werden und ein Sänger, der sein über Jahrzehnte gepflegtes,
unverwechselbares Vibrato wie einst im Mai schmirgelt.
Das Zelt groovte mit Roger Chapman & The Shortlist
phasenweise um die Wette. Okay, der dem roten Overall
entwachsene Shouter zertrümmert keine Tamburins auf
der Bühne, aber er ist nach wie vor ein richtiges „Bühnentier“,
dass nach eigenem Bekunden seine Energie aus der Interaktion
mit dem Publikum saugt. Da fliegen Handtücher und Plastikpullen
und Chapman fuchtelt mit dem Mikrofonständer, den er
nicht mehr wie früher auf die Bretter donnert, herum,
wie eine wild gewordene Miss Marple mit dem Regenschirm.
Das ist Energie pur. Nach der zweiten Nummer nimmt
Chappo nicht nur einen kräftigen Schluck aus der Pulle,
sondern genehmigt sich auch gleich eine kräftige Mineralwasser-Dusche.
Und er schont seine Stimmbänder nicht, lässt sie – na
logo – vibrieren, knarren, schreien. Klar, heute ist
jeder auf der „Shortlist“, die für viele ein wenig kurz
ist. Denn mit der Micky-Jupp-Nummer, die Chapmans tighter
Combo den Namen gibt, ist nach knapp zwei Stunden Feierabend.
Was fehlte? Der „Unknown Soldier“, „Let’s Spend The
Night Together“ . . . Okay, jede/r im Publikum hatte
auf ihrer/seiner persönlichen Setliste noch ein Plätzchen
frei, aber insgesamt schnürten Chappo & Co. ein
gelungenes Songpaket. „Prisoner“, „How How How“, „Hyenas
Only Laugh For Fun“ oder ein relativ entspannt gespieltes
„Shadow On The Wall“ sind natürlich unverzichtbare Klassiker.
Höhepunkte waren ein im D-Zug-Tempo dahin rollender
„Downbound Train“ und die elegische Hommage an den Blueser
Willie McTell. Möglich, dass keiner den Blues so singt
wie Blind Willie, aber so expressiv wie Roger Chapman,
der die Töne irgendwo aus der Mitte seines Körpers hervorpresst,
schreit sich auch kaum einer die Seele aus dem Leib.
Die Stimmakrobatik ist das fette Sahnestück, aber die
Musiker – ja, das ist die gute alte britische Schule
– stehen dem Frontmann nicht nach. Steve Simpson
greift nicht nur zu Gitarre und Mandoline, sondern lässt
bei „Downbound Train“ den Bogen mit Vehemenz über die
Geigenseiten fiedeln, Ian Gibbons ist ein souveräner
„Herr der Tasten“, Bassist Gary Twigg und Drummer Henry
Spinetti bilden eine formidable Rhythmusgruppe und Saxophonist
Andi Hamilton schraubt mitreißende Soundkaskaden unters
Zeltdach. Klar, es ist „nur“ Rock ’n’ Roll, aber, wenn
er mit soviel Herz-Hingabe gespielt wird, mögen wir
ihn natürlich immer noch. Nostalgie kann nicht nur schön,
sondern auch ansteckend lebendig sein!
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10.06.2003
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Wirbelwinde auf dem Giller Der
TopAct für die Familie: Flying Danish Superkids (aww)
Grund. Das „kleine technische Problem“ zu Beginn machen
die Flying Danish Superkids in null Komma nichts vergessen.
Der Samstagnachmittags-Familien-TopAct entführt kleine
wie große Zuschauer von der ersten Sekunde seines „Sunshine“-Programms
an in eine Traumwelt aus atemberaubender Akrobatik,
faszinierender optischer Illusion und mitreißenden Melodien
und Rhythmen, die für einen Nachmittag den Alltag von
1500 KulturPur-Freunden aus dem Zelt aussperrt. Überdimensional
große, fluoreszierende Lippen begrüßen singend und sprechend
das Publikum zu einer rasanten Wahnsinnsshow mit über
30 Kindern und Jugendlichen von sieben bis 20 Jahren,
die eine für ihr Alter schier unglaubliche Leistung
an den Tag legen. Wer hätte etwa gedacht, dass diese
kleinen Nachwuchstänzer/innen schon so komplizierte
und ausgefeilte Choreographien, mal spritzig und zackig,
mal sanft und anmutig, mit solch erstaunlicher Körperbeherrschung
hinbekommen? Doch nicht umsonst durften die Flying
Superkids bislang schon in 31 Ländern ihre tollen Leistungen
zeigen, wie Uwe Godbersen erklärte, der die Truppe 1967
gründete und auf dem Giller mit vielen nützlichen Erklärungen
zur Philosophie des Superkids-Unternehmens durchs Programm
führt und auch dass eine oder andere „Geheimnis“ verrät.
So erfahren die Zuschauer beispielsweise, dass die Superkids
in Dänemark ein Trainings-Center in einem umgebauten
alten Bauernhof haben und dass die jungen Akrobaten
auch dann immer genug Schlaf bekommen, wenn sie von
einem Ort zum anderen reisen – denn der Bus der Superkids
hat richtige Betten, in denen sich die kleinen Stars
bestens von ihren anstrengenden Auftritten erholen können.
Groß und Klein erfährt auch, dass die Kids nicht mehr
als drei Mal pro Woche trainieren. „Mehr dürfen sie
nicht, denn sie sollen sich ihre Lebensfreude erhalten“,
erklärt Uwe Godbersen. Tanzen oder Turnen? Die Superkids
müssen sich nicht entscheiden, denn sie können beides
richtig gut. Salti und Schrauben am Trampolin? Null
Problemo. Hula-Hoop mit bis zu 48 Reifen? Auch das!
Eine Spagat-Tanzchoreographie? Na klar! Radschlagen
im Wirbelwind-Tempo? Logo! Die Flying Danish Superkids
haben einfach alles drauf. Und neben akrobatischen Höchstleistungen
gibt es zur Abwechslung auch immer wieder traumhaft
schöne Illusionen fürs Auge (wie die herrlich choreographierte
Bilderrahmen-Nummer) oder einfach lustige Einlagen (wie
die Morgengymnastik für Rentner). Ergänzt wird das Ganze
mit informativen Videoeinspielungen, die die Superkids
in New York, Japan oder auch in ihrer dänischen Heimat
zeigen. Jung und Alt ist ganz aus dem Häuschen vor Begeisterung
für die freundlichen Superkids, die zum guten Schluss
noch mit einer ganz besonders sympathischen Aktion aufwarten:
Sie verabschieden sich per Handschlag von ihrem Publikum.
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10.06.2003
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Berückend schön und manchmal
bedrückend „The Wall“-Inszenierung des
Kieler Tanztheaters ging unter die Haut / Betörende
Bilder auf Bühne gezaubert / Minutenlange Ovationen
des Publikums (bö) Grund. Eine Frau hängt an
der hohen Wand. Verloren wirkend wie ein Schwalbennest
am Matterhorn. Drei farbige Kästen werden hin und her
über die 300 Quadratmeter große Bühne geschoben. In
den Behältnissen, die fast wie Brutkästen auf Rollen
wirken, regt sich Leben. Die Menschen wollen raus. Hände,
Fäuste, die ganzen Körper dehnen und zerren am elastischen
„Fliegengitter“ an der Kastenseite. Weich und schwammig
gibt es nach, um wieder zurückzuschnellen. Die Mauer
steht. Ein Kinderwagen-Gerippe rauscht vorbei. Menschen
in weißen Patientenkitteln werden auf Rollwägelchen
fremdbestimmt verschickt. Durchsichtige Inhalationsmasken
fallen an roten Fäden von der Decke. Wie Ertrinkende
greifen die Weißkittel danach. Tief einatmen! Damit
Ruhe ist im Kuckucksnest. Bis einer davonfliegt . .
. Zum Soundtrack von Pink Floyd. Das ging unter
die Haut. Ließ Münder staunend offen stehen. Tanztheater,
das die Grenze zur Akrobatik mehr als nur einmal streifte.
Choreographien in irrwitzigem Tempo voll rasanter Schrittfolgen.
Das Ballett der Bühnen der Landeshauptstadt Kiel sorgte
am Sonntag für einen der absoluten Höhepunkte der 13.
Auflage von KulturPur. Minutenlang spendete das Publikum
im einmal mehr vollbesetzten Zelt stehend Applaus für
die Inszenierung und choreographische Bearbeitung des
Pink-Floyd-Konzept-Albums „The Wall“ des so jungen wie
erfolgreichen Kieler Ballettdirektors Mario Schröder. Auch
wenn die „Wall“-Musik im Schaffen von Pink Floyd – alle
„Rockopern“ wirken immer irgendwie bemüht – nicht der
größte Hit ist: Als Soundtrack für die Bewegungswunder
aus dem hohen Norden – ergänzt durch eine feine Prise
Bach – funktioniert das überwiegend von Roger Waters
komponierte Werk. Auch wenn sich die Augen manchmal
in den auf der Bühne beschworenen – durch eine tolle
Lichtregie stimmig optimierten - visuellen Welten zu
verlieren drohen, schafft es Schröders brillante Inszenierung
in die Herzen des Publikums. „The Wall“ ist mehr als
ein faszinierendes Schaustück: es rührt an. Wie immer
man das Geschehen interpretieren mag, es hat mit uns
zu tun. Mit der Einsamkeit, mit dem Alleinsein in der
Masse, mit Vater, Mutter und Geliebter/m, mit den Zwängen
der Gesellschaft, mit Erziehern, mit vermeintlich Kranken
und genauso vermeintlich Gesunden, mit Ausbruchsversuchen
und Rückfällen. All dies setzen die Kieler in traumhaft
schöne Bewegung um. Die mehr als 20 Tänzerinnen und
Tänzer lassen die Bühne radschlagend rotieren, explodieren
in rasanten Sprüngen, schnellen von einer Seite der
Riesenbühne zur anderen, stürzen um- und übereinander,
benutzen Krankenliegen als akrobatische Hilfsmittel
und bieten dabei eben mehr als „nur“ technisch perfektes
Tanztheater, eine Parabel auf Lebenswege. Immer wieder
gelingen dem Ensemble Bilder von berückender und manchmal
eben auch bedrückender Schönheit. So lebensfroh die
Kissenschlacht rüberkommt, so nahe gehen die Szenen
in denen die Patienten/innen, kopfzuckend oder an langen
Bänder wie Marionetten gehalten, wie fremdbestimmt über
die Bühne torkeln. Es braucht, das hat die Geschichte
immer wieder gezeigt, nicht viele, um die Masse auf
Kurs zu bringen und zu halten. Hinter dem „Wall“ haben
die Chefin (glänzend Anne-Marie Warburton, die so in
jedem James-Bond-Film die irre Ärztin des Superbösewichts
spielen könnte) und ihr Personal (Lars Scheibner und
Sebastian Wagner agieren mit der Ausdruckskraft von
Stummfilmdarstellern) alles im Griff. Unbestrittener
Publikumsliebling war auf dem Giller Oliver Preiß, der
in der schweißtreibenden Hauptrolle des „Er“ alle in
seinen Bann zog. Aber auch Tina Slabon als seine Freundin,
Amy Share Kissiov als seine Mutter und das ganze Ensemble
verzauberten das ganze Zelt. Applaus auch für die sechs
Siegerländer Statisten/innen, die den Mut hatten, durch
die Mauer zu gehen. Und dafür auch schon mal kopfüber
an der Wand hängen mussten. Mut bewiesen auch Festivalchef
Wolfgang Suttner und seine Kollegen, die die gewaltige
Produktion auf den Giller geholt haben: mehr geht finanziell
und administrativ nicht. Wolfgang Suttner: „Wir haben
seit Samstag 22.30 Uhr aufgebaut.“ Der Einsatz hat sich
gelohnt, wie der Beifall des euphorisierten Publikums
bewies.
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10.06.2003
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Viva Oropax? – Wahnsinn! Am
Sonntag gab es Chaostheater zu später Stunde (zel)
Grund. Die beiden sind echt zu viel. Sie sind zu hibbelig,
zu albern, zu verwandt. Sie tragen einen großen Namen:
Chaostheater Oropax. Chaos stimmt. Am späten Sonntagabend
trieben „immerhin“ Volker und „nur“ Thomas Martins das
kleine Theaterzelt auf dem Giller bei KulturPur in den
Wahnsinn. Der hatte nur bedingt Methode. Einige Zuschauer
schafften es noch, frühzeitig zu entfliehen, andere
gaben sich dem Comedy-Wahn genussvoll hin und feierten
den „Doppelten Halbbruder“ am Schluss mit reichhaltigem
Applaus. Was haben wir da eigentlich gesehen? Ein
Programm, das wirkte, als führten es die körperbetonten
Brüder „very close to win“ (in der Nähe von Siegen)
zum ersten Mal auf. Einen gut anderthalbstündigen Einblick
in den Improvisationskurs für Komiker an der Schauspielschule.
Zwei Männer, die in langen Nächten zu viel mit dem „Zeit“-Rätsel
um die Ecke gedacht haben – so abartig, wie sie manches
(auch nur annähernd) phonetisch Gleichklingendes für
ihre Zwecke gebrauchen. Beispiel? „Irgendwann wird es
mit der Angst phobie sein.“ („Vorbei“, Anm. der Red.)
Die Kombi aus abgefeimten Sprachspielereien und
brachialer Albernheit funktionierte oft, aber nicht
immer. Sagen wir, zu 79 Prozent. Der Mönch, der auf
der Bühne nichts verloren hat, hat ja auch nichts gefunden.
Er hat dort nichts zu suchen, aber er hat ja auch nichts
verloren. Er hat einen Strohkranz auf dem Kopf, „habe
die Ähre“, sozusagen. „Zöliküche, Zöliwohnzimmer, Zölibad“:
bis hierher sehr schön. Die Grönemeyer-Nummer „Der Mönch
heißt Mönch“ war dann leider nicht mehr so gut, weil
hier der Sprachwitz fehlte. Wenn sich die Oropaxe ganz
auf den Wortwahnwitz konzentriert hätten wie zum Beispiel
der selige Österreicher Alf Poier beim Siegener Sommerfestival
im vergangenen Jahr, hätten sie das ganz große Los gezogen.
Da ist so viel Potenzial: „Halt mal die Fraise (frz.
Erdbeere)!“ – Wenn das jetzt Pfirsich wäre, hättest
du pêche gehabt!“ Mit dem Märchen vom Froschkönig, bei
dem Thomas einen sattgrünen Ballon auf dem Kopf trug
und Volker als Prinzessin sich Schweißperlen unter den
Achseln hervorzog, setzten die Brüder dann aber wieder
auf den rein optischen Klamauk, über den man lachen
konnte oder auch nicht. Schon lustig, dass vor allem
Thomas sich selber schlapp lachte über den Pipifax,
den Oropax da auf die Bühne brachte. Das machte den
Herrn sympathisch. Nahm den beiden Männern aber auch
gelegentlich die Möglichkeit, einen feinen Gag punktgenau
zu platzieren. Vielleicht gehört das jetzt aber auch
zum Konzept eines Chaostheaters. Vielleicht gibt es
aber auch gar kein Konzept. Wer weiß? „Viva Mexico.“
– „Im Sommer ziemlich schwül.“ Dafür muss man die beiden
einfach gern haben. Und wie war Oropax? Zu Pfingsten
ziemlich wahnsinnig.
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10.06.2003
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International in jeder Hinsicht Publikum
aus ganz Europa sah ausverkaufte TopActs (sz)
Grund. Das Musik- und Theaterfestival KulturPur ist,
was seine Künstler betrifft, seit 13 Jahren international.
Inzwischen kommt auch das Publikum aus ganz Europa ins
Siegerland: Die Verfeinerung der Marketinginstrumente
und die Buchbarkeit über Internet brachten dem Festival
in diesem Jahr Besucher aus Italien, Ungarn, Holland,
Schweden und der Schweiz. Kaum eine große deutsche Stadt,
die nicht in den Buchungslisten auftaucht. Festivalleiter
Wolfgang Suttner: „Die Konsequenz, ein stimmungsvolles
Kulturevent mit regionaler Bodenhaftung aufzubauen und
qualitätsvoll weiterzu- entwickeln, hat sich ausgezahlt.“ Sechs
TopActs waren absolut ausverkauft. Exklusivität war
dabei selbstverständlich: Hubert von Goisern spielte
bei KulturPur sein erstes deutsches Konzert für 2003,
Esther Ofarim tritt mit ihrem Konzertabend nur an ausgewählten
Plätzen auf und für die Mario Schröder Tanzkompanie
aus Kiel war es die erste große Festivalproduktion.
Das Tanztheater auf der Basis des Pink-Floyd-Opus „The
Wall“ wurde vom Publikum frenetisch gefeiert und war
zugleich die Nagelprobe für Technik, Bühnenbau und Organisation.
Die Bühne im Zelt auf der grünen Wiese wurde mit viel
Aufwand auf Staatstheaterniveau hochgerüstet, ein Einsatz,
der Organisationsleiter Georg Klein und Technikdirektor
Jens von Heyden mehrere schlaflose Nächte bereitete.
Publikum und Veranstalter sind sich einig, dass der
Sonntagabend eins der weit herausragenden Ereignisse
der Festivalgeschichte gesehen hat. Mitveranstalter
Hartmut Kriems: „Wir haben damit beweisen können, dass
KulturPur trotz eines gigantischen Ansturms auf populäre
Musik-Acts auch in der Lage bleiben wird, internationales
Theater zu zeigen.“ Trotz einer nochmaligen Steigerung
des Abendkartenverkaufs um 15 Prozent und mehr als 20
Prozent Besucher von außerhalb des Kreisgebietes musste
KulturPur leichte Rückgänge am Nachmittag hinnehmen.
Zirka 48 000 Besucher, etwa 2000 weniger als im vergangenen
Jahr, kamen insgesamt auf den Giller. Dies lag vor allem
an der landesweit verbreiteten Unwetterwarnung für den
Sonntag, den normalerweise besucherstärksten Tag. „Zum
anderen ist es vielleicht auch notwendig, die Gesamtstruktur
der Familientage neu zu überdenken“, so Mitveranstalter
Michael Townsend. „KulturPur hat sich zu einem großen
Festival mit internationaler Qualität entwickelt, das
Programm am Nachmittag bedarf einer Innovation.“ „Freilich
ein Spagat“, weiß Suttner, „denn umsonst und draußen
schafft zwar die breite Akzeptanz für Kultur, ist aber
schwer refinanzierbar.“ Doch angesichts der großen Verkaufserfolge
wird sich hier sicherlich ein Weg finden lassen, das
Kulturereignis KulturPur weiter zu verfeinern und neue
Trends zu setzen.
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10.06.2003
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Gillergnome, Waldschrate und
Lützelfeen – unter diesem Motto standen die Workshops
im und am kleinen Zelt der Jugendkunstschule Siegen-Wittgenstein
auf der Ginsberger Heide. Mit Hammer und Stecheisen
wurden die Nachwuchskünstler bildhauerisch an Baumstammsegmenten
tätig, die später zusammengesetzt einen 15 Meter langen
Riesenholzwurm ergeben sollten. Wie man aus einer speziellen
Seifenlauge und Schafswolle Filz macht, konnten die
Kleinen in einem anderen Workshop erfahren. Mit Holz,
Perlen und Federn konnten in einem weiteren Kurs kleine
„Schamanen“ ihre ganz eigenen „Fetische“ herstellen,
mit denen der Regen ferngehalten werden sollte. Was
eigentlich auch ganz gut geklappt hat, nicht wahr? aww
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06.06.2003
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Die Walkacts und Open-Air-Performer
gehören zu KulturPur, wie der Hering zu den Pellkartoffeln.
Auch in diesem Jahr sorgten wieder diverse Spaßmacher
und Illusionisten für tolle Freiluft-Unterhaltung rund
um die imposanten Zeltbauten auf dem Giller: die herrlich
albernen Comedians der Horst-und-Ewald-Truppe, die mittlerweile
bestens bekannten Londoner Covent Garden Streetperformer,
die Phoenix Theatre Company mit ihrer traumhaften Seiden-Luft-Collage.
Und da ja auch das Wetter – man höre und staune und
glaubt es kaum – im Großen und Ganzen mitmachte, konnten
die vielen, vielen kleinen und großen Besucher neben
der tollen Natur „auf der Lützel“, einem leckeren Eis
oder einer heißen Bratwurst auch noch die Gratis-Open-Air-Unterhaltung
auf dem Festivalgelände ausgiebig genießen. aww
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11.06.2003
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Reisen ohne viel Gepäck Hubert
von Goisern beendete mit „alpiner Weltmusik“ das 13.
KulturPur-Festival (zel) Grund. „Wanderer zwischen
den Welten“: So oft gehört diese Wendung auch sein mag,
auf Hubert von Goisern trifft sie zu. Seine Musik lebt
aus der volkstümlichen Tradition, kommt aber zum Glück
ohne das breite Grinsen der Fernseh-Volksmusik aus.
Der Österreicher hat sich stattdessen lieber mit Augen
und Ohren auf die ganze Welt eingelassen, die beileibe
keine heile ist, und sammelt Rhythmen und Töne aus aller
Herren Länder. Zusammen mit den Rhythmen und Tönen seiner
Heimat hat er etwas geschaffen, das sich „alpine Weltmusik“
nennt. Rund 2400 Zuhörer gingen am Montagabend mit auf
die Reise, als Hubert von Goisern und Band den letzten
TopAct bei KulturPur 2003 im großen Zelt bestritten.
Musiker und Publikum hatten sichtlich ihren Spaß. Ob
alt oder jung, ob in Jeans und T-Shirt oder im kompletten
Trachten-Outfit: Die von Goisern-Fangemeinde passt in
keine Schublade. Genauso wenig wie das, was sie in knapp
zweieinhalb Stunden ohne Pause zu hören bekam. Von Goisern
und seine sechsköpfige Band ließen es zunächst langsam
angehen. Blues und Balladen mit österreichischen Texten,
versetzt mit „Slow-Jodlern“, klangen durch das Zelt.
Als Band und Publikum miteinander warm geworden waren,
wurde der musikalische Horizont weiter: „Gemma nach
Afrika“. Aber im Gepäck hamma immer den österreichischen
Landler, die Polka, den mehrstimmigen Gesang, das Akkordeon,
die Mundharmonika. Unerhörte Mischung, so ein Jodel-Reggae.
Da jauchzten die Siegerländer. “Music makes the people
come together“: Madonna hat sich nicht geirrt, als sie
von der völkerverbindenden Kraft der Musik sang. Man
kann sich gut vorstellen, dass Hubert von Goisern auf
dem Weltmusikmarkt nicht nur ein Importeur ist. Er hat
auch etwas zu geben. Nicht umsonst hat er noch vor kurzem
bei einem Weltmusikfestival auf den Kapverden gespielt
und auf seinen Reisen nach Afrika, Asien und in die
Karibik nicht nur gesammelt, sondern auch „ausgeteilt“.
Hört's her: Traditionals aus Österreich! Von Goiserns
Band scheint von dem Konzept komplett überzeugt: Antonio
Porto (Bass), Burkhard Frauenlob (Keyboard), Bernd Bechtloff
(Percussion), Bernhard Wimmer (Schlagzeug) und Gerhard
Überbacher (Gitarre) gehen mit dem Frontmann überall
hin. Als charmante Reisebegleiterin haben sie Marlene
Schuen an Bord, die lupenrein mitjodelt und die Violine
spielt, wo sie gebraucht wird. So lieferten die Musiker
ein erstklassiges funky Acid-Jazz-Stück ab, dann ging
es off-beat-mäßig los wie einst bei den Pogues, dann
wieder Alpenrock wie damals mit den Alpinkatzen. Ein
bisschen Salsa, ein bisschen Meditationsmusik, „I bin
an“ zum Mitsingen: Weniger ist mehr? - Mehr ist mehr!
Wenn es musikalisch zusammen passt, und es passte. Hubert
von Goiserns „Iwasig“-Tourstart ist geglückt. Als der
letzte Jodler überm Giller verklungen war, machten sich
die begeisterten Fans wieder auf den Weg in ihre Heimat,
vielleicht mit ein bisschen Fernweh im Herzen. Auf den
Hit vom „Hiatamadl“ mussten sie zwar verzichten, aber
das ist logisch. Zu viele alte Klamotten im Gepäck sind
auf weiten Reisen einfach unpraktisch.
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